EINE (MEDIALE) TOPOLOGIE DER GEWALT
Iv Toshain, Pirmin Blum
Donnerstag, 23. Juni 2016
Seit 9/11 haben sich Krieg und Terror in die Mitte unserer Gesellschaft gebombt. Doch während die Medien nach wie vor im Kampf gegen den Terror aufgehen, ist Gewalt längst Teil unseres Alltags. Mode (Uniformjacken, Camouflage-Muster), Wortwahl (wie die inflationäre Verwendung von Worten wie Guerillamarketing, Killer-Viren oder Eroberungen von Märkten, Frauen etc.), Fitnesskult als private Aufrüstung verschmelzen zu massenkulturellen Inszenierungen, die unseren Alltag in ein Schlachtfeld verwandeln. Die neoliberalistische Leistungsgesellschaft verwandelt jeden zu einem Unternehmer seiner selbst. Mit der Freiheit der Normenrelativierung und (moralischen) Unsicherheit kehrt jedoch auch eine Militarisierung in den Binnenraum der westlichen Gesellschaften zurück.
Medien sind dabei längst nicht mehr Medium oder Vermittler, sondern (Macht-)Faktor unserer Gesellschaft. Byung-Chul Han zufolge, auf den sich der Ausstellungstitel bezieht, verlagert sich Gewalt vermehrt „vom Sichtbaren ins Unsichtbare, vom Brachialen ins Mediale…“ und weicht „einer anonymisierten, entsubjektivierten, systemischen Gewalt, die sich als solche verbirgt, weil sie mit der Gesellschaft in eins fällt“. Nicht offene Angriffe, sondern überwiegend Ansteckungen in Form von Identifizierung und Verinnerlichung sind die Folgen.
Iv Toshain entlarvt in ihren Arbeiten mediale Ikonen als glamourös konstruierte Hyperrealitäten, deren Hauptzweck darin besteht, den gesellschaftlichen Status quo zu sichern. Geprägt von ihrer Kindheit während des Ersten Golfkriegs im Iran, konnotiert die Künstlerin den Begriff des Shooting Star neu. In ihren performativen Stunt Paintings zielt Toshain in einer revolutionären wie poetischen Geste mit Wurfsternen auf Seiden-Leinwände, deren blutende, aufgerissene Bildoberflächen Textnachrichten der Künstlerin sichtbar werden lassen. Als einstige Sinnbilder von Hoffnung, Schutz und Freiheit (In der politischen Symbolik verkörpert der Stern Freiheit, Brüderlichkeit, Gleichheit und damit das Prinzip Demokratie.) verzeichnen Sterne nun Zerstörung und Schmerz.
Pirmin Blums aktuelle Arbeiten beschäftigen sich mit dem Krieg der Bilder (W. J. T. Mitchell) und den neuen Technologien als Waffen, d.h. den Medien sowohl als Schauplatz als auch Mittel des Konflikts. Handelnde Personen sind dabei längst hinter den Kulissen verschwunden. (Recall to Death in a Media) Die Found Footage-Material recycelnden Arbeiten zeigen Tod und Zerstörung als Sensationen aus zweiter Hand. Dabei verstärkt deren glanzvolle Ästhetik die Mechanismen, die sie zunächst zu enthüllen versprach. Auf die Ästhetisierung der Gewalt folgt deren Entpolitisierung – und Re-politisierung in den Arbeiten Blums.